Wie Prolonged Field Care von innovativen Patientenüberwachungslösungen profitieren kann

Bildnachweis: Defense Visual Information Distribution Service, Photo by Staff Sgt. Rasheen A. Douglas, NATO Special Operations Component Command-Afghanistan – https://www.dvidshub.net/image/307141/daily-preps-medevac

Unabhängig davon, ob es sich um ein taktisches, militärisches oder ziviles Umfeld handelt, kann es Situationen geben, in denen es nicht mehr möglich ist, eine angemessene medizinische Versorgung mit Standardverfahren zu gewährleisten. Hier kommt Prolonged Field Care (PFC) ins Spiel. Dabei handelt es sich um die „prähospitale Notfallversorgung und kritische Versorgung außerhalb der normalen Evakuierungszeiten in ressourcenbegrenzten Umgebungen, um die Morbidität und Mortalität von schweren und kritischen Unfällen zu verhindern oder zu verringern, bis der/die Patient:in eine angemessene Versorgungsstufe erreicht hat“.1 Diese “verlängerte Versorgung vor Ort” wird von Ärzt:innen und medizinischem Fachpersonal sowie von geschulten Zivilist:innen in abgelegenen Gebieten, Kriegs- oder Katastrophengebieten geleistet.

Wir sprachen mit Eirik Holmstrøm, der über 30 Jahre Erfahrung als Rettungssanitäter hat, auch in Krisengebieten. Er weiß genau, worauf es bei der Behandlung von Verletzten in solchen Extremsituationen ankommt und wie innovative Lösungen zur Patientenüberwachung einen wertvollen Beitrag leisten können.

Eirik Holmstrom

Über den Interviewpartner:

Eirik Holmstrøm ist ein sehr erfahrener Rettungssanitäter. Mit über 30 Jahren Erfahrung als Sanitäter und im militärischen Bereich war er an verschiedenen Orten tätig, u. a. in Norwegen, Bosnien, Irak und Afghanistan. Jetzt arbeitet er als Ausbilder am College of Remote and Offshore Medicine Foundation in Malta. Außerdem arbeitet er bei Medic Tool, um die Weiterentwicklung der Software für die mobile Patientendokumentation und Datenübertragung zu unterstützen.

Eirik Holmstrøm, neben vielen anderen Tätigkeiten arbeiten Sie auch als medizinischer Ausbilder. Können Sie beschreiben, was genau Sie tun?

Ich arbeite als Kursleiter und Ausbilder am College of Remote and Offshore Medicine Foundation in Malta. Wir unterrichten ziviles medizinisches Personal wie Ärzt:innen, Krankenpfleger:innen und Sanitäter:innen darin, wie sie in feindlichen und abgelegenen Umgebungen mit begrenzter Ausrüstung längere Zeit vor Ort arbeiten können. Außerdem arbeite ich für Medic Tool, wo wir eine digitale Pre-Hospital-Software-App entwickelt haben, mit der Mediziner:innen während eines Einsatzes planen, dokumentieren und kommunizieren können.

Ein Bereich Ihrer Arbeit ist Prolonged Field Care: Was bedeutet das?

Um dies zu erklären, möchte ich etwas zur Entstehungsgeschichte von PFC sagen: Während meiner militärischen Laufbahn und meiner Arbeit bei der NATO war ich in Bosnien, Afghanistan und im Irak. In Afghanistan habe ich als Flugsanitäter gearbeitet. Dort war es möglich, Patient:innen innerhalb von 30 Minuten nach ihren Verletzungen zu bergen. Wir hielten uns an das Prinzip der goldenen Stunde: Ein Soldat wird verletzt, der Alarm geht los, ein Sanitäter am Boden behandelt ihn, wir treffen innerhalb von 30 Minuten ein, so dass der Soldat innerhalb einer Stunde im OP ist. Nach diesen Einsätzen begannen wir, über Szenarien in Regionen nachzudenken, in denen die medizinische Infrastruktur ebenfalls weiter entfernt ist, wie in Afrika oder wie jetzt in der Ukraine, wo ein Patient oder eine Patientin unter Umständen sechs, acht oder zehn Stunden, möglicherweise sogar ein oder zwei Tage stabil gehalten werden muss, bevor eine Evakuierung möglich ist. Da keine Ärzt:innen in der Nähe waren, mussten wir herausfinden, was Militärsanitäter:innen oder Sanitäter:innen auf zivilen Expeditionen wissen sollten. Welches Maß an Pflege sollten Nicht-Ärzt:innen leisten, und welche Fähigkeiten sind erforderlich, um eine/n Patient:in am Leben zu erhalten? Dies führte zur Gründung der Gruppe Prolonged Field Care in den USA. Wir haben uns darauf konzentriert, die Fähigkeiten zu ermitteln, die Mediziner:innen – keine Ärzt:innen – benötigen, um das Leben eines/einer Patient:in zu erhalten. Dabei gibt es verschiedene Verfahren. Aber im Wesentlichen bedeutet PFC, dass man sich um eine/n Patient:in, die/der eigentlich woanders sein sollte, länger kümmert, als man möchte. Und dann haben wir damit begonnen, verschiedene Aspekte und Maßnahmen zu erörtern und zu untersuchen, die notwendig sind, um PFC zu leisten.

Um welche Maßnahmen handelt es sich dabei zum Beispiel?

Zum Beispiel Bluttransfusionen. Das ist etwas, was ich als Sanitäter in Deutschland nicht machen darf. Aber im Einsatz mache ich Bluttransfusionen.

Wie bestimmen Sie die Blutgruppe vor Ort?

Wenn wir die Möglichkeit haben, bestimmen wir die Blutgruppe aller Mitglieder einer Mission im Voraus, so dass wir eine Datenbank mit allen beteiligten Personen haben und wissen, wer welche Blutgruppe hat. Wenn wir das nicht wissen, verwenden wir ein Bluttypisierungskit, zum Beispiel die ELDONCard. Man träufelt etwas Blut auf die Karte und sie zeigt die Blutgruppe an. Das ist zwar nicht die sicherste Lösung, weil man z. B. nicht weiß, welche Krankheiten die Person haben könnte, aber es ist eine sehr gute Lösung, wenn man das Blut vor Ort schnell typisieren muss.

Wie sind Sie auf die cosinuss°-Technologie aufmerksam geworden?

Wir von Medic Tool waren auf der Suche nach einem Gerät, das uns mit Vitaldaten für unsere Softwarelösung versorgt. Wir begannen mit einem Unternehmen zusammenzuarbeiten, das einen Vitalparameter-Monitor entwickelt, aber sie sind noch Jahre davon entfernt, ein funktionierendes Produkt zu haben. Also mussten wir weiter suchen. Unser Geschäftsführer besuchte letztes Jahr die Luftrettungskonferenz ICAR in Südtirol und traf dort cosinuss°. Nach der Konferenz diskutierten wir mit cosinuss° über die potentiellen Möglichkeiten, die immens sind.

man with in-ear sensor and blood presure cuff during pcf training

Trainingsübung auf Malta. Bildnachweis: Eirik Holmstrøm

Lassen Sie uns mehr über diese Möglichkeiten sprechen: Was braucht ein Verletzter dringend, bei dem die cosinuss°-Technologie helfen könnte?

Nach meinen Erfahrungen, die ich als Sanitäter in Bosnien, Afghanistan und im Irak gemacht habe, und nach meiner Tätigkeit als Lehrer für Mediziner auf der ganzen Welt ist das Wichtigste: Man beginnt mit den Grundlagen. Man beginnt damit, die Blutung zu stoppen, stellt sicher, dass der Patient atmet, und geht dann weiter. Die Erfassung der Vitalparameter ist ein sehr wichtiger nächster Schritt. Man misst u.a. die Pulsfrequenz, den SpO2-Wert und den Blutdruck, denn dies gibt Aufschluss darüber, wie die Behandlung des Patienten verläuft. Geht es ihm oder ihr besser oder schlechter? Und das ist der Grund, warum ich cosinuss° wirklich liebe: Mit dem Im-Ohr Sensor habe ich etwas, das ich in das Ohr des/der Patient:in stecken kann, und ich kann die Vitalwerte in der App kontinuierlich sehen und so die Veränderungen erkennen. Bald werden wir die gemessenen Werte auch in unser Medic Tool integrieren können. Es wird automatisch registriert, dokumentiert und wir können diese Informationen weiterleiten, zum Beispiel wenn der Hubschrauber eintrifft oder ins nächste Krankenhaus.

Welche Vorteile hat Ihrer Meinung nach die cosinuss°-Technologie gegenüber anderen Lösungen im Bereich der PFC? Gibt es andere vergleichbare Lösungen?

Wir waren speziell auf der Suche nach einer Lösung, die Live-Vitaldaten direkt in unsere App liefert, und cosinuss° ist die einzige Lösung auf dem Markt, die das kann. Es gibt kleine Fingerclips für SpO2 und einige Kapnographie-Tools, aber nichts, was wie cosinuss° die Daten über Bluetooth direkt an unsere App übertragen kann. Daher ist das, was cosinuss° bietet, extrem wichtig für Mediziner:innen, besonders in der PFC, wo man den/die Patient:in über einen längeren Zeitraum überwachen muss. Während der Einsätze in Afghanistan und im Irak hatten die Sanitäter:innen fünf bis zehn Minuten Zeit, um Patient:innen zu behandeln und zum Hubschrauber zu bringen. In dieser kurzen Zeitspanne sieht man nicht die volle Wirkung seines Handelns. Aber wenn man eine/n Patient:in 12 Stunden lang betreut, muss man sie/ihn ständig überwachen. Wenn Sie zum Beispiel Antibiotika verabreichen, werden Sie in den ersten ein oder zwei Stunden keine Auswirkungen sehen, aber Sie können Verbesserungen nach fünf, sechs oder mehr Stunden beobachten. Wenn das Fieber sinkt, ist das gut, wenn nicht, ist es ein Problem. cosinuss° hilft dabei, indem der Sensor die Vitaldaten über die App oder direkt in das Medic Tool sendet und alles aufzeichnet, wie z.B. die Verabreichung von Antibiotika oder Paracetamol. cosinuss° steht mit dieser Art der Messung allein da, und das Medic Tool ist einzigartig in Europa für Patientendokumentationssysteme.
Ein weiterer Vorteil ist, dass Sie bei langen Pflegezeiten von 12 Stunden und mehr oft der einzige verfügbare Arzt oder Ärztin sind. Man kann die/den Patient:in nicht ständig überwachen, ohne irgendwann eine Pause zu machen. Ich bringe anderen Menschen ohne medizinischen Hintergrund daher bei, wie man Blutdruck, Atemfrequenz und Puls misst. Mit cosinuss° kann ich ihnen auf dem Bildschirm zeigen, worauf sie achten müssen, und wenn die Messwerte bestimmte Schwellenwerte über- oder unterschreiten, wissen sie, dass sie mich holen müssen. Das ist ein großer Vorteil.

Zwei c-med° alpha Im-Ohr Sensoren in der Transportbox und der cosinuss° Health App auf dem Smartphone.

Welche Art von Ausrüstung nimmt ein Rettungssanitäter normalerweise mit auf einen Einsatz?

Normalerweise werden zum Beispiel große Patientenmonitore in Krankenwagen mitgeführt. An diese können verschiedene andere Geräte angeschlossen werden, z. B. zur Beatmung oder zur Messung der Atemluft – insbesondere zur Überwachung von CO2. Auch die Analyse von Urinausscheidungen ist in der PFC oft erforderlich. Ebenso sind die Blutzuckerwerte sehr wichtig. Bei all diesen Lösungen sind oft noch Kabelverbindungen üblich oder manuelle Messungen notwendig. In Zukunft wollen wir jedoch kleine, leichte Lösungen finden, die an unser Medic Tool angeschlossen werden können.

Neben den genannten Parametern, die cosinuss° mit den Im-Ohr Sensoren nicht erfassen kann: Welche weiteren Vitalparameter sollte cosinuss° Ihrer Meinung nach abdecken können?

Wenn cosinuss° in Zukunft neben Puls, SpO2 und Temperatur auch Atemfrequenz, Blutdruck und EKG2 abdecken kann, dann hätten wir bereits die wichtigsten Parameter in einem einzigen Gerät.

Welches Potenzial sehen Sie für die Zukunft der cosinuss°-Technologie?

Ich denke, das Potenzial der cosinuss°-Technologie ist unbegrenzt. Jeder, der eine medizinische Behandlung außerhalb eines Krankenhauses durchführt, muss die Vitalwerte messen, sei es auf Bohrinseln oder im Rettungswagen. In einer Klinik hat man große Monitore, aber wenn man nur mit einer medizinischen Tasche unterwegs ist, kann man diese großen Geräte nicht mitnehmen. Der Hauptzweck von cosinuss° ist es, die/den alleinstehende/n Sanitäter:in zu unterstützen, wenn er oder sie unterwegs ist, um Patient:innen abzuholen.
Darüber hinaus könnte cosinuss° in Situationen mit mehreren Verletzten von großem Nutzen sein. Zum Beispiel, wenn es einen Überfall mit Schusswaffen gab. Ich, als Sanitäter, würde hinrennen und jedem Verletzten einen Sensor ins Ohr stecken. Der Arzt könnte dann die Vitalwerte aus der Ferne oder im Hintergrund überwachen und z. B. feststellen: „Die Vitalwerte von Nummer 4 sinken, Sie müssen ihn zuerst untersuchen.“ Dies würde cosinuss° zu einem effektiven Triage-Instrument machen.

Wann und wo haben Sie die cosinuss° Sensoren bereits getestet?

Ich habe den c-med° alpha bereits einige Male während meiner Schulungen getestet. Ich plane jedoch, den Sensor bei meinen nächsten Schulungen und Einsätzen, wenn möglich, an echten Patient:innen zu testen, zum Beispiel wenn ich in die Ukraine reise.

Herzlichen Dank, Eirik! Wir sind sehr gespannt, welche Erfahrungen Sie mit unserem mobilen Patientenmonitor sammeln werden und wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihren nächsten Einsätzen und Schulungen.

Author

  • Melanie Schade

    M.A. Kommunikationswissenschaft und Online-Marketing-Expertin mit Schwerpunkt auf Gesundheits- und Wissenschaftskommunikation. // M.A. Communication Studies and online marketing expert with a focus on health and science communication.

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Quellen / References

  1. Die ursprüngliche Definition von „PFC“ stammt vom NATO SOF Research Workshop im April 2013 und wurde 2014 von der PFC Working Group angenommen.
  2. Die Aufzeichnung dieser Vitalparameter befindet sich derzeit in der Entwicklung und wird demnächst eingeführt (EKG mit einem extern angeschlossenen, kabellosen Patch).