Interview mit Dr. Eimo Martens und Dr. Franziska Hahn

Trotz der Beschleunigung durch die Corona-Pandemie hat es die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen immer noch schwer: Viele Patientendaten werden handschriftlich organisiert und per Fax zwischen Kliniken und Arztpraxen versendet. Gleichzeitig haben sich aber in den letzten Jahren einige Fortschritte ergeben, wie das Monitoring von Vitalparametern mithilfe von Wearables und die digitalisierte Auswertung mittels Algorithmen. Dr. Eimo Martens, Leiter der kardiologischen Device-Therapie und des Telemedizin-Zentrums des Klinikums rechts der Isar in München, und seine Kollegin Dr. Franziska Hahn treiben diese Entwicklungen weiter voran. Mit dem Aufbau des Telemedizin-Zentrums des Klinikums haben es sich die beiden zum Ziel gesetzt, digitale Lösungen zu etablieren und die Vorteile telemedizinischer Leistungen aufzuzeigen.

Über die Interviewpartner:innen

Dr. Eimo Martens, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, ist Oberarzt sowie Leiter der Device-Therapie und des telemedizinischen Zentrums des Klinikums rechts der Isar.

Dr. Franziska Hahn, Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie, arbeitet im telemedizinischen Zentrum des Klinikums rechts der Isar und ist federführend in der Betreuung der Telemonitoring-Patient:innen tätig.

Herr Dr. Martens, Sie waren maßgeblich am Aufbau des Telemedizin-Zentrums des Klinikums rechts der Isar in München beteiligt. Wie kam es dazu?

Dr. Martens: Wie Dr. Franziska Hahn bin ich Kardiologe und Elektrophysiologe. Das heißt, wir beschäftigen uns mit Herzrhythmusstörungen. Da dieser Berufszweig mit Dingen wie der Aufzeichnung und Auswertung von EKGs sowie der Einstellung von Schrittmachern sehr technisch ist, bringt man vermutlich automatisch technisches Interesse mit. Eigentlich bin ich aber bereits seit meiner Zeit im Zivildienst mit der Telemedizin vertraut. Damals habe ich die telemedizinische Unterstützung im Rettungsdienst in Ostfriesland mit aufgebaut. Auch hinsichtlich der Krankenhaus-IT bin ich schon seit längerem beschäftigt. Früher wurde für die Schrittmacherkontrollen noch alles auf Thermopapier gedruckt, in die Patientenakte geklebt und die Werte handschriftlich in die Schrittmacherausweise eingetragen. Ich dachte mir damals, dass das so nicht weitergehen kann und habe dafür gesorgt, dass die Daten der Schrittmacherkontrollen von dem Programmer ins Kliniksystem übertragen werden. Dazu muss man sagen, dass es eigentlich schon seit 2001 die Möglichkeit gibt, die Schrittmacher und implantierbaren Defibrillatoren aus der Ferne zu überwachen. Wir in München sind seit 2009 in den Bereich der Fernüberwachung eingestiegen. In die Vergütung durch die Krankenkasse ist das Remote Monitoring von Herzinsuffizienzpatient:innen allerdings erst letztes Jahr, also 20 Jahre später, geflossen.

Dr. Hahn: Ich war damals in derselben Arbeitsgruppe wie Dr. Martens. Wir dachten uns: Es gibt die Möglichkeit, die Patient:innen telemedizinisch nachzuversorgen – dann machen wir das auch. Und somit greifen wir bereits seit 2009 auf die ganzen Devices per Online-Portal zu und haben früh die Vorteile, die sich daraus ergeben, erkannt.

Dr. Martens: Aufgrund dieser Gegebenheiten kommt mein bzw. unser Interesse für den telemedizinischen Bereich. Wir führen schon sehr lange Telemedizin für kardiovaskuläre Patient:innen durch. Mit zunehmendem Angebot an Sensoren und technischen Möglichkeiten, wie bspw. Videovisite in Zeiten von Covid-19, haben wir den Bereich nach und nach ausgebaut. Wir haben relativ schnell unsere Patient:innen vom Klinikum rechts der Isar ebenfalls ins Monitoring eingeschlossen und das Telemedizin-Zentrum gegründet. Dieses haben wir mit verschiedenen weiteren Use Cases ausgebaut. Bereits vor der Corona-Pandemie geplant, aber durch diese befeuert, haben wir 2020 das Telemonitoring auf eigene Beine gestellt, mit eigener pflegerischer Leitung. Hier haben wir relativ schnell mit cosinuss° zusammengearbeitet. Das fing mit der Studie TeleCovid, initiiert durch Prof. Dr. Georg Schmidt [Anm. Red.: Leiter der Arbeitsgruppe Biosignalanalyse am Klinikum rechts der Isar der Technische Universität München] an. Das Ganze wurde dann in das interdisziplinäre Telemedizin-Zentrum überführt, als wir das entsprechende Personal dafür einstellen konnten.

Dr. Hahn: Die Telemedizin und die Device-Versorgung gibt es nun schon seit über zehn Jahren und ich freue mich sehr, dass diese Leistungen endlich abrechenbar sind und auch im klinischen Alltag angewendet werden können. Hiervon profitieren wir bzw. die gesamte Kardiologie in Deutschland sehr.

Welche Aufgaben übernehmen Sie im Telemedizin-Zentrum?

Dr. Martens: In der Klinik nehmen Dr. Hahn und ich vor allem Schrittmacher-Implantationen und Revisionen vor. Konkret bedeutet das, dass wir Schrittmacher und Defibrillatoren bei Patient:innen einsetzen. Die klinische Nachsorge erfolgt ganz normal in der Schrittmacherambulanz. Im Telemedizin-Zentrum machen wir die telemedizinischen Nachkontrollen von Patient:innen mit ICDs, CRTs, Eventrekordern, subcutanen ICDs, LifeVest sowie bei externen Wearables speziell für Herzinsuffizienz-Patient:innen. Des weiteren monitoren und visitieren wir täglich RSV-, Influenza- und Covid-19-positive Patient:innen telemedizinisch mittels Ohrsensoren.
Neben der medizinischen Arbeit kümmere ich mich aber auch darum, dass wir mehr Partner und neue Projekte gewinnen. Mein Hauptfokus ist es, Forschungsprojekte inklusive Forschungsförderung zu akquirieren. Wir haben für unser Telemedizin-Zentrum in den letzten fünf Jahren über zehn Millionen Euro Forschungsförderung erhalten. Daneben ist eine meiner Kernaufgaben die Versorgungsfinanzierung zu realisieren. Für die Herzinsuffizienz ist das jetzt gegeben. Aktuell versuchen wir die Versorgung auch für das Blutdruckmonitoring zu ermöglichen. Als nächstes arbeiten wir aktuell daran, auch Pflegeheim-Televisiten vergütet zu bekommen. Diese sind bspw. in Sachsen schon abrechenbar.

Was können Sie uns über Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Telemedizin aus Ihrem Praxisalltag berichten?

Dr. Martens: Das pflegerische Personal – bei uns bestehend aus einer Intensivkrankenpflegerin mit Zusatzqualifikation Herzinsuffizienz sowie medizinisch-technischen Assistent:innen und Medizinstudent:innen – führt die Vorarbeit durch. Das bedeutet konkret, dass sie sich die Alarme auf dem Monitoring-Dashboard ansehen und zunächst technische Ursachen herausfiltern, bspw. wenn von der Patientin oder vom Patienten keine Daten übertragen wurden. In so einem Fall müssen wir die Patientin oder den Patienten anrufen und ihm Anweisungen geben, um das Monitoring wieder zu aktivieren. Für uns Ärzt:innen bleiben die vorgefilterten Alarme übrig, die wir sichten müssen. Auf dieser Basis müssen wir entscheiden, was gemacht werden muss. Dieser medizinische Teil unserer Arbeit stellt einen erheblichen Workload dar. Um diesen zu reduzieren bzw. gewisse Prozesse zu automatisieren, setzen wir mittlerweile Algorithmen ein, die uns dabei helfen, die Daten der Patient:innen zu bewerten. Um sich am Ende auf solch eine computergestützte Auswertung verlassen zu können, ist es natürlich wichtig, dass wir genügend Lerndaten erhalten. Seitdem wir im Januar 2023 mit dem Herzinsuffizienz-Monitoring mit mobilen Sensoren als Service für Praxen begonnen haben, sind schon fast 6.000 EKGs zusammengekommen. Hier haben wir also bereits viele Daten, aus denen wir lernen können.

Dass wir die Patient:innen im Blick haben und einfach anrufen können, wenn etwas ist, finde ich mittlerweile “state of the art”. – Dr. Franziska Hahn

Welche Vorteile bringt die Digitalisierung in der Medizin Ihrer Meinung nach mit sich? Und welche Verbesserungen haben Sie bereits selbst in Ihrem Telemedizin-Zentrum erleben können?

Dr. Hahn: Was ich wirklich sehr angenehm finde, ist, dass wir alle Patientendaten sowie Messdaten, EKGs, etc. in unser Kliniksystem integrieren können. Das heißt konkret, dass ich eine:n Patient:in anklicke und dann sehe ich ihre bzw. seine Untersuchungen aus der Klinik wie Herzultraschall, EKG, Langzeit-EKG und auch die Schrittmacherabfrage bei uns in der Ambulanz, aber auch die telemedizinischen Befunde. Das habe ich alles in einem System. Im Prinzip hat Dr. Martens realisiert, dass man alle Daten zusammen hat, diese ins SAP übertragen und eigentlich auch schon per elektronischer Patientenakte (ePA) den Überweisern zur Verfügung stellen kann. Ich als Kardiologin kann mir das gar nicht mehr anders vorstellen. Wir haben hunderte Device-Patient:innen im telemedizinischen Follow-up. Unser Monitoring-System ist für mich wie eine riesengroße virtuelle kardiologische Ambulanz. Wir haben bspw. viele Patient:innen mit Ionenkanal-Erkrankungen, die wir – wie alle Patient:innen – sieben Tage die Woche überwachen. Das ermöglicht es uns, viel schneller zu reagieren, wenn etwas nicht stimmt. Die Datenübertragung von den internen kardialen Devices findet routinemäßig nachts statt. D.h. ich habe die Daten am gleichen Tag und kann reagieren. Bei manchen von diesen internen und externen Devices kann die Übertragung jedoch auch patientengetriggert erfolgen. Wir gucken alle Daten durch und können sehen, ob jemand Herzrhythmusstörungen oder eine technische Fehlfunktion hat. Wir rufen dann den oder die entsprechende:n Patient:in an und reagieren somit innerhalb von 24 Stunden auf die Störung. Das finde ich wirklich super. Ohne die telemedizinische Nachsorge würde der Missstand bzw. das Problem erst bei Komplikationen oder beim nächsten Besuch in der Klinik auffallen (meist alle sechs bis zwölf Monate). Dass wir also die Patient:innen im Blick haben und einfach anrufen können, wenn etwas ist, und wir alles in der ePA vermerken bzw. es in dieser zur Verfügung stellen können, finde ich mittlerweile “state of the art”. Ich persönlich habe mich in meinem Klinikalltag sehr daran gewöhnt. Ich finde es wirklich sehr angenehm, so viele virtuelle ambulante Patient:innen zu haben und diese telemedizinisch überwachen zu können. Das möchte ich wirklich nicht mehr missen.

Wie schätzen Sie das Potenzial für die Telemedizin in Deutschland ein? Welche Herausforderungen und welche Chancen sehen Sie?

Dr. Hahn: Ich schätze das Potenzial als sehr hoch ein. Es ist nur leider so, dass immer ein hoher Leidensdruck bzw. “need” vorhanden sein muss, bis etwas voran geht. Wir machen Telemedizin in diesem Teilbereich bereits seit über zehn Jahren, aber es musste erst eine Corona-Pandemie kommen, damit es richtig Fahrt aufnimmt. Covid-19 war und ist einerseits natürlich schlimm, aber andererseits war es auch ein Glücksfall für die Telemedizin. Ich kann mir meine Arbeit gar nicht mehr ohne Remote Monitoring vorstellen und ich bin sehr froh, dass es weiter Fahrt aufnimmt. Ich finde allerdings, dass telemedizinische Entwicklungen in Deutschland wahnsinnig lange dauern. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen scheint in einigen anderen europäischen Ländern wesentlich schneller voran zu schreiten.
Aber man muss auch sagen, dass telemedizinische Leistungen sehr viel mehr Arbeit generieren können. Ich betreue neben den Device-Patient:innen auch Patient:innen mit externen Wearables. Das sind Herzinsuffizienz-Patient:innen, die sich jeden Tag auf die Waage stellen sowie EKG, Blutdruck und Herzfrequenz messen. Diese Menge an Gesundheitsdaten müssen auch gesichtet und bewertet werden. Das macht ganz schön viel Arbeit, das darf man nicht vergessen. Ich kann demnach viele niedergelassene Ärzt:innen verstehen, die sich diesen erheblichen Mehraufwand nicht leisten können oder wollen, wenn dieser nicht ausreichend vergütet wird. Diesen Aufwand zu stemmen, geht nur, wenn man entsprechendes Personal und die Strukturen einer großen Praxis hat. Wenn man hier gut aufgestellt ist, sehe ich aber sehr gute Chancen und Vorteile, so wie das eben bei uns schon der Fall ist.

Dr. Martens: Ich sehe das Potenzial der Telemedizin in Deutschland auch als sehr groß. Neben den von Dr. Hahn angesprochenen Problemen sehe ich noch ein weiteres: Das deutsche Abrechnungssystem. Dieses ist darauf ausgelegt, dass der Arzt/die Ärztin nur Geld verdient, wenn der/die Patient:in vor ihm sitzt. In anderen Ländern, bspw. in Schweden, erhält ein Krankenhaus das staatliche Geld für seine Region, die es versorgen muss. Da gibt es also ein Krankenhaus und ein Versorgungszentrum, in dem pflegerische Berufe eine wesentlich größere Rolle spielen als bei uns. Sie erhalten ein festes Budget und müssen mit diesem alle Schrittmacherkontrollen durchführen. Aus diesem Grund machen die schwedischen Mediziner:innen seit vielen Jahren keine einzige Schrittmacherkontrolle mehr in der Klinik, weil bekannt ist, dass nur wenige Prozent der Patient:innen mit einem implantierbaren Device jemals eine Umprogrammierung brauchen. Alle anderen Infos kann man remote abfragen und nur den- oder diejenige ins Krankenhaus bestellen, der/die eine Umprogrammierung benötigt. Meines Erachtens wird durch das deutsche Abrechnungssystem eine Ressourcenvergeudung erzeugt, wenn die Arztpraxen die Patient:innen einmal im Quartal einbestellen und den Schrittmacher kontrollieren. Das ist technisch und medizinisch nicht sinnvoll, aber aktuell erhält der Arzt/die Ärztin nur so Geld. Wir bestellen diese Patient:innen bei uns nur noch einmal im Jahr ein, auch wenn unsere Verwaltung den klassischen Weg bevorzugt, also jedes Quartal.

Welche weiteren Herausforderungen für die Telemedizin ergeben sich durch den in der EU streng geregelten Datenschutz?

Dr. Martens: Der Datenschutz ist sehr wichtig, aber auch ein Hinderungsgrund für schnelle Entwicklungen. In dem Bereich, in dem wir aktiv sind, haben wir allerdings eine sehr gute Lösung gefunden, indem wir die Daten bei den Herstellern der Sensoren pseudonymisiert nutzen und in unserem System wieder zusammenbringen. Aber sicherlich gehört der Datenschutz zu einem sehr zeitfressenden Faktor. Meiner Erfahrung nach würden sich die meisten Patient:innen wünschen, dass ihre Daten zwischen ihren medizinischen Dienstleistern ausgetauscht werden. Das würde uns auch Vorteile bringen. Die meisten Patient:innen versäumen es, ihre Daten den entsprechenden Stellen vollständig weiterzugeben und so entstehen Informationslücken. Bei einem Notfall bspw. haben wir keine Informationen über die Patientin oder den Patienten digital vorliegen. Auch wenn Herzschwäche-Patient:innen mit einem rosa Überweisungsschein vom Hausarzt zu uns kommen, dann müssen wir erstmal die analogen Aufzeichnungen der letzten 20 Jahre zusammensuchen.
Ein weiteres Problem ist die mangelnde intersektorale Zusammenarbeit. Diese sollte noch viel besser laufen. Bei vielen Herstellern fehlen schon lange verfügbare technische Möglichkeiten der besseren interoperablen Kommunikation, bspw. HL7 FHIR, die aber einfach nicht implementiert werden, weil jeder sein eigenes Süppchen kochen möchte. Wir haben also mit datenschutzrechtlichen und technischen Hürden zu kämpfen.

Wir brauchten einen Sensor, der äquivalent zu einem Monitoring auf einer Überwachungsstation ist – im Grunde genommen eine Art “Intermediate Care Unit”. Da gibt es nach wie vor nicht so viele Alternativen zu den Im-Ohr Sensoren von cosinuss°. – Dr. Eimo Martens

Im Bereich der Telemedizin haben Sie in den vergangenen Jahren gemeinsame Projekte mit cosinuss° durchgeführt. Können Sie uns ein bisschen von diesen erzählen?

Dr. Martens: Wir führen seit einiger Zeit verschiedene Monitoring-Projekte durch. Dabei geht es uns letztendlich immer darum, Vitaldaten zu überwachen und auszuwerten. Das Hauptproblem ist aber, dass die Consumer Wearables aufgrund der Batteriespannung diese Daten extrem kürzen oder zusammensparen. Bei einer handelsüblichen Smartwatch erhalte ich als Arzt relativ wenige Informationen. Für unsere Analysen und Risikoprädiktion brauchen wir aber Rohdaten oder zumindest eine Art von Rohdatensignal, das ein PPG-Sensor erzeugt – vergleichbar mit einem Signal, wie wir es auch auf einer Intensivstation sehen würden. Wir brauchen also richtig gute Daten aus wissenschaftlichen Gründen, aber auch für klinische Zwecke, um Alarme mit dem Rohdatensignal zu korrelieren. Das ist schließlich etwas, was wir jeden Tag auf der Intensivstation machen: Wenn es alarmiert, gucken wir auf den Bildschirm, innerhalb von einer halben Sekunde und validieren auch genauso schnell: “Passt es oder passt es nicht?”, “Muss ich die Patientin oder den Patienten retten oder nicht?”. Und das ist das Problem bei den Consumer Wearables: Wenn bspw. jemand viele Extrasystolen hat, kommt er zu uns in die Ambulanz und erzählt uns, dass seine Smartwatch ihm einen Puls von 30 anzeigt. Wenn die Patientin oder der Patient aber keine Beschwerden hat und beim Langzeit-EKG herauskommt, dass es sich um ventrikuläre Extrasystolen handelt, hätten wir die auch problemlos mit den Algorithmen aus dem PPG-Signal erkennen können. Wir können diese auch von einer supraventrikulären Extrasystole unterscheiden. Wenn wir das entsprechende Signal aber nicht haben, können wir es auch nicht sehen. Dann können wir der Patientin oder dem Patienten nur mitteilen, dass ein Puls von 30 nicht der Wahrheit entspricht. Unterm Strich heißt das also, dass viele der verfügbaren Sensoren und Wearables nicht in der Lage sind, mit den integrierten Algorithmen valide Daten herauszugeben. Deswegen brauchten wir einen Sensor, der uns valide Daten sendet. So kam cosinuss° ins Spiel. Für die bereits erwähnte TeleCovid-Studie mit Prof. Dr. Georg Schmidt brauchten wir während der ersten Welle der Corona-Pandemie einen Sensor, um die Vitaldaten der Patient:innen zuverlässig zu messen. Ein großes Problem damals war, dass wir sehr viele Patient:innen bei uns aufgenommen haben und mit dem Monitor überwachen mussten. Schließlich war speziell bei Covid-19 die Gefahr groß, dass Patient:innen objektiv gesehen eine Unterversorgung mit Sauerstoff hatten, es aber nicht bemerkt haben [Anm. Red.: Silent Hypoxemia]. Die Patient:innen hatten teilweise eine Blutsauerstoffsättigung von 70%, aber sie saßen immer noch da als wäre nichts. Das haben wir nur dank der Sensorik von cosinuss° oder mit der Sensorik hier im Krankenhaus sehen können. Es gab anfangs der Corona-Pandemie viel zu viele Patient:innen, die zu lange zu Hause geblieben sind und zu spät zu uns ins Krankenhaus kamen. Daneben hatten wir viel zu viele Patient:innen im Krankenhaus. Schließlich hatten alle Angst, wir genauso. Deshalb haben wir sie großzügig aufgenommen, weil keiner wusste, was das genaue Problem ist. Wir brauchten also einen Sensor, der äquivalent zu einem Monitoring auf einer Überwachungsstation ist – im Grunde genommen eine Art “Intermediate Care Unit”. Da gibt es nach wie vor nicht so viele Alternativen zu den Im-Ohr Sensoren von cosinuss°. Prof. Dr. Schmidt fand die Tatsache, dass alle benötigten Vitalparameter in einem Sensor gemessen werden und die Messung im Ohr stattfindet, sehr charmant. Es gibt natürlich Pulsoximeter-Sensoren für den Finger, die aber zusätzlich noch einen Temperatursensor brauchen, der dann wiederum nicht so praktikabel ist. Wir wollten es den Patient:innen aber so einfach handhabbar wie möglich machen. Und wir brauchten, wie schon erwähnt, eine richtig gute Datenqualität. Zusätzlich kam hinzu, dass es ein Sensor sein sollte, der wiederverwendbar ist. One-Way-Produkte stellen einen sehr hohen Kostenfaktor dar. cosinuss° war also zu diesem Zeitpunkt der einzige Hersteller, der allen Ansprüchen gerecht wurde.

Gibt es weitere aktuelle oder geplante Projekte mit cosinuss°?

Dr. Hahn: Ja, bspw. monitoren wir ambulante Patient:innen mit Covid-19 oder Influenza. Ziel ist es, eine Ressourcenschonung darzustellen: Durch das Remote Monitoring wollen wir erkennen, wann der “ideale” Zeitpunkt ist, den/die Patient:in wieder bei uns aufzunehmen, wenn sich sein/ihr Zustand verschlechtert. So können wir Betten für diejenigen Patient:innen freihalten, die aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht entlassen werden können. Wir überwachen außerdem Patient:innen, die stationär bei uns waren, bspw. aufgrund einer Herzkatheter-OP. Es ist geplant, dass diese zur Ressourcenschonung dann mit dem Sensor nach Hause entlassen werden, damit eine optimale Betreuung sichergestellt ist und eventuell auftretende postoperative Infektionen rechtzeitig erkannt werden.

Wie schätzen Sie das Potenzial von Technologien, wie die von cosinuss°, in den kommenden Jahren für die Gesundheitsbranche ein: Werden diese Ihrer Meinung nach großflächig in den deutschen Klinik- und Praxisalltag integriert?

Dr. Martens: Wie schon gesagt, ist es in Deutschland wirklich sehr schwer in die Vergütung zu gelangen. Im Grund genommen geht dies nur über den Innovationsfonds für neue Versorgungsformen. Hier haben wir cosinuss° bereits mit aufgenommen. In dem aktuellen Antrag geht es darum, dass wir Patient:innen, die wir ambulant versorgen, zusätzlich mit einem Monitor versorgen und sie etwa eine Woche von zuhause aus überwachen. Wir wollen hierbei herausfinden, ob wirklich eine kontinuierliche Überwachung notwendig ist oder ob eine intermittierende ausreicht. Wir denken, dass es sinnvoll ist, zunächst eine intermittierende Überwachung zu haben, wie das ja auch auf der Normalstation der Fall ist: Das Pflegepersonal misst drei mal am Tag Blutdruck und Puls. Stellt man dann aber fest, dass sich der Zustand des/der Patient:in verschlechtert, können wir auf eine kontinuierliche Überwachung umschalten, um dann entscheiden zu können, ob weitere Maßnahmen oder ein “Zurückschalten” auf intermittierend sinnvoll ist. Und genau dieses Vorgehen ist mit den cosinuss° Sensoren sehr gut möglich. Wir denken, dass dieser Ablauf u.a. bei der Überwachung von respiratorischen Infekten sehr sinnvoll ist. Hier haben wir immer noch einen großen Anteil an Fehleinweisungen, insbesondere aus Pflegeheimen. Das könnte man mit so einem Sensor und Monitoringsystem deutlich verbessern. Gleichzeitig denke ich aber auch, dass dies nur in so großen und gut ausgestatteten Zentren wie unseres möglich ist, weil sonst der zusätzliche Workload nicht stemmbar ist.
Zusammenfassend heißt das, um solch eine Sensorik wie die von cosinuss° in die Regelversorgung zu bringen, braucht es bestimmte Voraussetzungen: Die Effektivität und die Effizienz der Monitoringlösung muss mit Studien untersucht und belegt sein. Die Durchführung von kontrolliert randomisierten Studien ist hier allerdings sehr aufwändig. Und am Ende hängt es aber auch zu einem großen Teil davon ab, dass wir einzelne Entscheider:innen überzeugen – von der/dem Klinikchef:in bis hin zum/zur Politiker:in.
Wir sind und bleiben deshalb wirklich sehr dahinter, den Bereich der Telemedizin weiter voranzutreiben. Wir halten es für extrem attraktiv und als einzigen Ausweg, unsere Gesundheitsversorgung langfristig bezahlbar zu machen und die großflächige Versorgung zu gewährleisten.

Die Bilder wurden bereitgestellt vom Telemedizin-Zentrum des Klinikums rechts der Isar, München

Authors

  • Melanie Schade

    M.A. Kommunikationswissenschaft und Online-Marketing-Expertin mit Schwerpunkt auf Gesundheits- und Wissenschaftskommunikation. // M.A. Communication Studies and online marketing expert with a focus on health and science communication.

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  • Katharina Adams

    Als weit gereiste Tourismusmanagerin und Barkeeperin, bringt Kathi dynamischen Schwung in das Unternehmen. Sie verbringt ihre Freizeit am liebsten in den Bergen und an der Isar mit ihrer kleinen Tierschutzhündin Pixi. /// As a well-traveled tourism manager and bartender, Kathi brings dynamic drive to the company. She loves to spend her free time in the mountains and at the Isar with her little animal welfare dog Pixi.

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