Masterarbeit von Ralph Heim, Mediziningenieur
“Konzept- und Prototypenentwicklung eines Sensorsystems zur Auswertung von schwimmspezifischer Vital- und Beschleunigungsparameter”
Während das Messen von leistungsspezifischen Parametern und Vitaldaten beim Laufen und Radfahren mittels moderner Wearables heutzutage auch bei Hobbysportlern Gewohnheit ist, gibt es beim Schwimmen kaum technologische Fortschritte. Die analoge Uhr am Beckenrand gilt auch heute noch als das Messinstrument der Wahl. Aufzeichnungen von schwimmspezifischen Leistungsparametern, wie der Abstoßgeschwindigkeit nach der Wende, finden im täglichen Training nicht statt.
Aus diesem Grund war das Ziel meiner Masterarbeit, den Fitness- und Vitalparameter-Tracker cosinuss° One bzw. Two so zu adaptieren, dass er im Wasser verwendet werden kann, um zu untersuchen, welche schwimmspezifischen Parameter aufgezeichnet werden können. Durch erste Anpassungen des cosinuss° Messsystems wurde ein Prototyp sowie ein passendes Konzept entwickelt, um neben der Herzfrequenz und Körpertemperatur entsprechende Beschleunigungsdaten beim Schwimmen aufzuzeichnen. Das System sollte dabei zum einen Anforderungen aus sportwissenschaftlicher Sicht erfüllen. Zum anderen sollte es im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts STEM on the Move Lehrpersonal und SchülerInnen im naturwissenschaftlichen Unterricht zur Veranschaulichung angewandter Lehrinhalte dienen.
cosinuss° Messtechnologie
Die von cosinuss° eingesetzte Technologie bietet grundlegende Vorteile für die Anwendung beim Schwimmen. Zunächst kann im Ohr eine vor dem Wasser gut geschützte Messung stattfinden. Des Weiteren sind schwimmspezifische Beschleunigungsmessungen dank des bereits integrierten Akzelerometers theoretisch möglich. Ein interner Datenspeicher im Sensor erlaubt zudem die nachträgliche Analyse der Daten, sodass Bluetooth-Verbindungsabbrüche im Wasser keine Probleme bereiten. Daneben bietet das System das Potential zur effizienteren und automatischen Schwimmschüler- und Athletenüberwachung: Ein Trainer kann mehrere Schwimmer gleichzeitig betreuen und die aufgezeichneten Daten anschließend analysieren.
Adaption und verwendete Technik der °Two und °One Sensoren
In der Masterarbeit wurden verschiedene Konzepte bzw. Varianten und Prototypen entwickelt und getestet.
Wasserfestigkeit
Die Anwendung des In-Ear-Sensors im Wasser erfordert eine Wasserfestigkeit. Um dies zu gewährleisten, wurden verschiedene Methoden zur Abdichtung getestet (siehe Abb. 1).
Abb. 1: Abdichtungsmethoden der Prototypen durch Gießharz: a) Beschichtung der Hardware auf Basis von Polyurethan (aufgetragen mit Pinsel) b) Komplettverguss auf Polyurethanbasis c) Komplettverguss auf Basis von Silikon + Mikrohohlglaskugeln.
Abb. 2: Unterwassertest. Die Sensoren wurden für zwei Stunden untergetaucht.
Wasserabschirmung
Es wurden verschieden Positionierungs- und Abdichtungssysteme getestet, um den Einfluss des Wassers auf die Vitalparameter-Messung zu reduzieren und zu untersuchen:
Abb. 3: Übersicht aller Positionierungs-/ Abdichtungssysteme.
Beschleunigungssensor
Der bereits im In-Ear-Sensor integrierte 3D-Beschleunigungsmesser (Akzelerometer) wurde verwendet, um folgende schwimmspezifische Parameter zu messen:
- Abstoß
- Zuganzahl
- Gleitphasen
- Atemfrequenz
Bisherige Beschleunigungsmessungen mit dem cosinuss° Sensor dienten hauptsächlich der Artefakterkennung im Rahmen von Herzfrequenzmessungen. In der Masterarbeit wurde getestet, inwieweit der In-Ear-Sensor auch zur Aufzeichnung bei schwimmspezifischen Bewegungen verwendet werden kann.
Signalverarbeitung der Beschleunigungsdaten
Im Rahmen des Projekts STEM on the Move wurde der Fokus auf das Brustschwimmen gelegt, da eine Beherrschung dieser Schwimmtechnik von Schülern der Mittelstufe erwartet werden kann.
Folgende schwimmspezifische Parameter konnten aus dem Beschleunigungssignal mittels Auswertung in der Programmiersprache Python berechnet und untersucht werden1:
- Abstoßbeschleunigung/-geschwindigkeit
- Schwimmzüge pro Bahn
- Detektierung der Wenden
- Zeit pro Bahn
- Gleitphase nach den Wenden
- Atemfrequenz
Vitalparameter-Messung
Für die Auswertung der Herzfrequenz- und Temperaturmessungen wurde die bestehende cosinuss° Algorithmik verwendet.
Die Messung der Pulsfrequenz erfolgt mittels Reflexionsmethode der Photoplethysmographie (PPG). Hierbei wird emittiertes Licht der am Sensor integrierten LED in das Gewebe des Gehörgangs gestrahlt und das austretende Licht von der Photodiode gemessen.
Die Körpertemperatur wird mittels eines Kontakttemperatursensors gemessen, der durch das Anliegen an der Gehörgangswand die Messung der Körpertemperatur ermöglicht (Kalibrierung mittels Software auf ±0,1°C).
Ergebnisse
Messergebnisse Schwimmzüge und Wenden
In Abbildung 4 ist der Beschleunigungsverlauf beim Brustschwimmen zu sehen. Die Züge pro Bahn, Abstöße und Kipp-Wenden sind gut durch die Beschleunigungsmaxima zu erkennen.
Abb. 4: Beispielauszug für Schwimmzüge und Wenden (31m-Bahn im Müllerschen Volksbad, München). Gemessene Beschleunigung in x-Richtung (blau in [g]), Beschleunigung in z-Richtung (grün [g]) während einer Aufnahme von 6x31m Brustschwimmen.
Abstoß
Abbildung 5 zeigt einen Ausschnitt einer Messung zum Zeitpunkt eines Abstoßes nach einer Kippwende. Hier ist gut erkennbar, wie sich die Geschwindigkeit durch den Abstoß vom Beckenrand und das anschließende Gleiten verändert (roter Graph). Auf Basis der Beschleunigungsmaxima im blauen Graphen lässt sich die Zugzahl bestimmen.
Abb. 5: Vergrößerter Ausschnitt, Beispiel Abstoß (zwischen ~317s und ~ 318s): grau = Beschleunigungs-Rohsignal in y-Richtung (g), rot = berechnete Abstoßgeschwindigkeit (m/s), blau = tiefpass gefiltertes Beschleunigungssignal in x-Richtung (g).
Vitalparameter
Wie in Abb. 6 zu sehen ist, konnten trotz idealer Wasserabschirmung mit der eingesetzten Rot-/Infrarot-LED keine validen Herzfrequenzdaten gemessen werden. Der Grund liegt in der starken Beeinflussung durch die Kopfbewegungen. Die Herzfrequenz nimmt bei der gezeigten Messung während der Belastung beim Schwimmen vermeintlich ab, wobei das Gegenteil der Fall sein sollte.
Abb. 6: Beispiel einer Vitalparametermessung. Messaufnahme der Herzfrequenz (bpm), Durchschnittsgeschwindigkeit (m/s) und Körpertemperatur (°C).
Wurde die alternative Brusttechnik angewandt, bei der der Kopf über Wasser gehalten wird und keine starken Kopfbewegungen stattfinden, konnten valide Herzfrequenzdaten gemessen werden:
Abb. 7: Messung der Herzfrequenz während des Brustschwimmens mit Kopfhaltung über dem Wasser. Im linken Ohr wird ein Prototyp mit grüner LED und im rechten Ohr mit rot/infraroter LED getragen.
Die Temperaturmessung war durch die zusätzliche Abschirmung des Ohrs möglich und die Messungen valide.
Finales Konzept
Das finale Konzept nach Auswertung einer Nutzwertanalyse und Durchführung der Prototypen-Tests sieht wie folgt aus:
Um den Sensor vor Feuchtigkeit zu schützen, wird die Sensorkopföffnung mit einem Silikonkleber versehen (a) und die Elektronik durch einen Gießharzverguss auf Silikonbasis abgedichtet (c). Für den PPG-Sensor wird eine grüne LED eingebaut (b). Dank des 3-Achsen-Akzelerometers ist die Aufnahme von Bewegungen und Beschleunigungen möglich (d). Um einem potenziellen Datenverlust entgegenzuwirken, wird eine Speicherkarte zur internen Datenspeicherung eingebaut (e). Die Datenanalyse basiert auf digitaler Signalverarbeitung (f). Um das Ohr und den Sensor optimal vor Wasser zu schützen, wird sowohl eine ergometrische Badekappe (g) als auch eine zusätzliche Abdichtung der Ohrmuschel mit einem Silikon-Ear-Plug (h) eingesetzt.
Fazit: In-Ear-Sensoren sind für den Einsatz beim Schwimmen geeignet
Allein durch einen Gießharzverguss war es möglich die Elektronik des cosinuss° Sensors vor Feuchtigkeit zu schützen, sodass ein Einsatz beim Schwimmen möglich wurde. Das Design oder die Konstruktion des Sensors selbst mussten nicht verändert werden.
Durch die Signalverarbeitung der Beschleunigungsdaten war eine automatische Auswertung der Zug- und Atemfrequenz, Gleitphasen, Wenden, Abstoßsequenzen sowie Abstoß- und Durchschnittsgeschwindigkeiten möglich.
Auch die Temperaturmessung im Gehörgang war durch entsprechende Abschirmung während des Schwimmens möglich.
Die Messung der Herzfrequenz konnte bei geringer Kopfbewegung während des Schwimmens und in den Pausen ermöglicht werden. Zu starke Kopfbewegungen verhinderten derzeit das Messen von validen Herzfrequenzwerten allerdings.
Ausblick: Optimierungen und weitere Anwendungsfelder
Für zukünftige Untersuchungen ist eine systematische Auswertung auf Basis von Messungen an mehreren SchwimmerInnen in Kombination mit Videoanalysen sinnvoll.
Um valide Herzfrequenzmessungen zu erhalten, sollten bei zukünftigen Messungen zum einen Anpassungen am Algorithmus vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere eine Analyse des PPG-Signals in Bezug auf Einfluss durch Kopfbewegungen relevant. Zum anderen sollten Messungen mit einem PPG-Sensor, der eine grüne LED verwendet, durchgeführt werden. Auf Basis der bisherigen Ergebnisse liegt die Vermutung nahe, dass aufgrund der unterschiedlichen Eindringtiefe des Lichts, eine Messung mit grüner LED weniger störanfällig für Kopfbewegungen ist.
Für zukünftige Messungen ist außerdem eine Weiterentwicklung der internen Datenspeicherung und -übertragung mittels Buffering sinnvoll. Auf diese Weise kann Datenverlusten aufgrund von zwischenzeitlichen Verbindungsproblemen bei Live Messungen entgegengewirkt werden.
Neben dem Einsatz beim Schwimmen ist eine zukünftige Anwendung des modifizierten cosinuss° Sensors auch beim Tauchen denkbar. Hier ist neben den bereits gemessenen Vitalparametern vor allem die Sauerstoffsättigung (SpO2) von Bedeutung.
Das angepasste Messsystem von cosinuss° eignet sich somit für die Erfassung von leistungsspezifischen Daten und Vitalparametern auch bei Wassersportarten – sowohl für den Hobbysport als auch im schulischen Umfeld.
Hintergrundinformationen: STEM on the Move
Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts STEM on the Move soll SchülerInnen naturwissenschaftliches Wissen durch Spaß am Sport vermittelt werden. Bezogen auf das Schwimmen heißt das konkret, dass die Weiterentwicklung des cosinuss° Sensorsystems im Schwimmunterricht der Mittelstufe bei praktischen Übungen eingesetzt werden soll. Dadurch sollen Themenfelder aus der Physik, Biologie und Technik nicht nur gelehrt, sondern auch unmittelbar für die SchülerInnen Schülerinnen erfahrbar werden.
Mehr Infos über das Projekt: https://www.cosinuss.com/de/2019/06/28/durch-freude-an-der-bewegung-mehr-freude-an-mint/
Quellen / References
- Herausrechnen des Orientierungswechsels aufgrund Kopfbewegung durch Filterung der Beschleunigungsdaten. Berechnung der Abstoßgeschwindigkeit aus Abstoßbeschleunigung mittels Betrachtung der Gesamtbeschleunigung und numerischen Integration nach Stamm et al. (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1877705813011181). Detektion von Wenden, Zugzahl, Gleitphasen und Atemfrequenz durch Frequenzanalyse (FFT) und Betrachtung der Maxima und Minima im Beschleunigungssignal.